Feinstaub im Ruhrgebiet: ein unterdrücktes Problem
Mittwoch, 30. März 2005 18:13
Alter: 20 Jahre



Kategorie: Natur- und Umweltschutz


Staubbelastungen aus Industrie und Verkehr


Ostersonntag 2005: „In München hat die Feinstaub-Belastung am Ostersonntag zum 36. Mal in diesem Jahr den Grenzwert überschritten, womit gegen EU-Recht verstoßen wurde.“ (FR Nr. 72 / 29.03.05).
Es entsteht wieder einmal externer Handlungszwang für die zögerliche Politik, die nur widerstrebend sich mit Wirtschaft und Verkehr (insbe­sondere Dieselrußemissionen von PKW und LKW) als Hauptemitten­den anlegt. Lange Zeit wurden, wenn überhaupt, nur Meßdaten für Grobstäube erfaßt. Die Werte für die sehr viel gesundheitsgefähr­licheren, lungengängigen Feinstäube wurden nicht bestimmt. Meß­stationen wurden - so die Kritik der Wissenschaftler und Umweltver­bände - viel zu grobmaschig angelegt. Bekannte Großemittenden („Dreckschleudern“) werden in der Öffentlichkeit nicht benannt. Wenn dann von Gewerbeaufsicht und Ministerien den Betrieben konkrete Luft­reinhaltemaßnahmen auferlegt werden (wenn, ...?), dann zogen diese die Maßnahmen verschleppend lieber vor die Gerichte, anstatt die Ursachen zu beseitigen. Im Verkehrsbereich geben z. Zt. BMW, DaimlerChrysler, Porsche und VW ein ähnlich verheerendes Signal: Anstatt ihre Bau­reihen endlich konstruktiv hin auf die ökologischen Vorgaben zur Kohlendioxidminderung des USA-Staates Kalifornien umzurüsten, schließen sie sich lieber einer Sammelklage der amerikanischen und japanischen Automobilhersteller an (FR Nr. 68, 22.03.05).

An ausgewählten Beispielen von Behinderungen und Versäumnissen der besonders hoch staubbelasteten „Stadt Montan“ Duisburg wird auf­gezeigt, wie zögerlich Politik und Stadtverwaltung die Beseitigung der offensichtlichen Gesundheitsgefahren durch Stäube angegangen sind.

Ausgangspunkt 1978: Kohl aus dem eigenen Garten sorgt für Blei­vergiftung!


In 2004/2005 hat zwar gegenüber den letzten Jahrzehnten des 20. Jahr­hunderts die Staubbelastung durch die Industrie abgenommen. Aber die Industrieanlagen belasten in Duisburg die Menschen weiter mit ihren Staubemissionen (WAZ Nr. 201 / 28.08.04).
Gehen wir zum Vergleich mehr als 25 Jahre zurück in das Jahr 1978. Damals legte NRW-Gesundheitsminister Friedhelm Farthmann den ersten Luftreinhalteplan Ruhrgebiet-West vor (WAZ Nr. 163, 18.07.78; WAZ Nr. 207, 07.09.78; RP Nr. 203, 01.09.78; RP Nr. 209, 08.09.78). Die Belastung mit Schwermetallen (u. a. Blei; Cadmium; Zink) war so hoch, daß die Kühe in der Friemersheimer Rheinaue bleivergiftetes Gras fraßen und in den angrenzenden Maisfeldern große Schilder auf die Vergiftungsgefahr hinwiesen. Die Rinder wurden zur gesundheit­lichen Erholung in das bergische Land geschickt. Die Menschen, insbe­sondere die Kinder, waren in gesundheitsschädlicher Weise so durch Blei belastet, daß sogar Gefahren für deren Intelligenzentwicklung ge­sehen wurden. Kohl aus dem eigenen Garten sorgte für Bleivergiftung (WAZ Nr. 163, 18.07.78; RP Nr. 250, 26.10.78).


Die achtziger Jahre: Grobstaubwerte als Teil der Gesamtbelastung

In 1980 hatten die Überschreitungen der Grenzwerte für die Grobstaub-Niederschläge etwas nachgelassen (RP Nr. 16, 19.01.80). Es zeigten sich einige Ungereimtheiten in den Meßergebnissen, wozu es aber (ebenso wie zu den allseits bekannten Großemittenden Krupp, Mannesmann, Thyssen usw.) kaum Nachfragen und keine befriedigen­den Antworten gab (NRZ Nr. 12, 15.01.80).
Aus der Kenntnis einschlägiger Umwelt-Verfahrenstechnik sowie aus der Praxis des innerbetrieblichen Arbeitsschutzes heraus, wurden vom

Verfasser zu den von der Stadtverwaltung vorgelegten Meßdaten u. a. folgende kritische Anmerkungen vorgetragen:

„Die Messungen für Staubniederschläge [Grobstäube] erfassen nur einen Teil der Immissionen, die das Wohlbefinden und die Gesundheit speziell der Rheinhausener und insgesamt der Duisburger Bürger be­lasten. Viel gesundheitsgefährlicher sind die Feinstäube (atembare Schwebstoffe).

Die alleinige Wiedergabe der Jahresmittelwerte [I1-Werte] gleicht täg­liche, wöchentliche und monatliche Belastungsspitzen aus, die für die ganze Bevölkerung bzw. für besonders gefährdete Bevölkerungsanteile viel nachteiliger sind, als die ‚geglätteten‘ Jahreswerte.

Ohne den gleichzeitigen Ausweis der meteorologischen Daten (Daten der Großwetterlage und der Kleinklimata) täuschen die wenig aussage­fähigen Jahresmittelwerte speziell für 1979 scheinbare Verbesserungen der Immissionsbelastung vor, die letztlich nur den Wettereinflüssen zu­zurechnen sind. Wirklich durchschlagende Verbesserungen auf der Emissionsseite (hier vor allem bei den Schadstofferzeugern der Eisen- und Stahlindustrie) lassen sich daraus leider nicht ableiten. Eine Infor­mationspolitik der Stadt Duisburg, die derartige wesentliche Einfluß­größen und Wirkungszusammenhänge nicht beachtet, setzt sich leicht dem Verdacht der ‚Umweltkosmetik‘ (oder Manipulation?) aus.“ (RP Nr. 15, 18.01.80).

Der damalige Umwelt-Dezernent der Stadt Duisburg, Josef Ebert, kriti­sierte darauf:
„Es sollen sich nicht Leute zu Wort melden, die von der Sache nichts verstehen!“ (NRZ Nr. 16 / 19.01.80. Vgl. NRZ Nr. 15 / 18.01.80 und RP Nr. 15 / 18.01.80. Siehe auch RP Nr. 17 / 21.01.80). Nun liegen

 

diese „unsachlichen Umweltschutz-Forderungen“ als EU-Vorgaben vor!

In 1988 legte die Stadtverwaltung dann eine gründliche Untersuchung ihres Chemischen und Lebensmitteluntersuchungsamtes vor (WAZ Nr. 246 / 20.10.88) zu den Wechselwirkungen zwischen Wetterlage / Wind­richtung und Schadstoffverteilungen. Die Großemittenden waren in be­sonders ausgeprägten Zacken der „Schadstoffwindrosen“ bestens zu er­kennen, wurden aber im Vortrag wieder nicht benannt.

In den 80er Jahren wurde von Umweltverbänden, aber auch von NRW-Umweltminister Klaus Matthiesen, mehrfach auf die Schadwirkungen des Straßenverkehrs verwiesen. Zu erinnern sind hier die Berichte zu überhöhten Benzolwerten in der Straßenluft des Ruhrgebiets (WAZ Nr. 29 / 03.02.89; WAZ Nr. 50 / 28.02.89). PKW-/LKW-Verkehr als Be­lastungsfaktoren waren bestens bekannt. Trotzdem wurden die Straßen weiter ausgebaut und neu gebaut.

Bis in die 90er Jahre zog sich der Streit um Schwellenwerte für Benzol und Ruß (M. Boeckh: VDI nachrichten Nr. 14 / 09.04.93). Mit aller Macht verhinderte das Bundesverkehrsministerium (BMV), daß Prüf­werte für Benzol und für Ruß festgelegt werden. „Wir können keine Grenzwerte akzeptieren, die den Städten Möglichkeiten an die Hand geben, den Verkehr von heute auf morgen dicht zu machen.“ (BMV, nach Boeckh). Da verwundert es nicht, daß Duisburg auch in 1987 noch die schmutzigste Luft aufwies (WAZ Nr. 303 / 29.12.88).


Die neunziger Jahre: Betriebsschließungen verbessern die Be­lastungssituation
(Messungen der Luftschadstoffe mit wenig Aussagewert)

 

Im Februar 1992 kündigte die Stadtverwaltung an, monatlich die groß­räumigen Meßdaten zur Schadstoffbelastung zu veröffentlichen (WAZ Nr. 33 / 08.02.92). Das war erfreulich.
Aber reichten die Daten von nur vier Meßstationen aus, um ein wirklich repräsentatives Bild der Duisburger Luftbelastung zu geben? „Um ge­nauere Erkenntnisse zu gewinnen, müßten wesentlich kleinräumigere Messungen durchgeführt werden.“. So äußerte sich 1988 das Chemi­sche und Lebensmitteluntersuchungsamt der Stadt (WAZ Nr. 215 / 14.09.88). Deren Chemiker forderten bereits 1987: „Die Meßstellen verdichten.“ (WAZ Nr. 144 / 24.06.87). Aber das Gegenteil ist einge­treten, seitdem die Landesanstalt für Immissionsschutz die Messungen übernommen hat. „Die Ergebnisse liegen später vor und sind nicht mehr nach Ortsteilen aufgeschlüsselt.“, so damals Dr. Schneider vom Che­mischen Untersuchungsamt (WAZ Nr. 270 / 19.11.88).

Eine der vier TEMES-Meßstationen stand im äußersten Duisburger Westen in Kaldenhausen (Darwinstraße), nur wenige hundert Meter vom Lauersforter Wald entfernt. Wie hieß es dazu schon in 1982 im Vergleich zum hoch belasteten Friemersheim? „Als regelrechte ‚Luft­kurorte‘ muten da schon die Ortsteile Bergheim und besonders Rumeln-Kaldenhausen an, ...“ (WAZ Nr. 219 / 21.09.82). Vielleicht sollte die Landesregierung die Meßstation Duisburg-West auf den Hülser Berg verlegen, wurde in Leserbriefen kritisch angeregt. Da bestehe wenig­stens keine Gefahr mehr, daß sich die Bürger wegen überschrittener Grenzwerte um die Gesundheit ihrer Kinder und um ihrer selbst sorgen.

Eine besonders gefährliche Belastungssituation bildete sich im Duis­burger Süden bei der Exposition gegenüber Dioxinen und Furanen heraus. Die Kupferhütte, die Firmen B.U.S. und M.I.M. standen hier in der Kritik (vgl. WAZ Nr. 156 / 07.07.96). Die Landesumweltministerin Bärbel Höhn mußte selbst eingreifen, um in langwierigen Verhand­lungen endlich Verbesserungen im Umweltschutz (Filtertechnik etc.) durchzusetzen.

Das Umweltamt der Stadt Duisburg sah (wie die Oberbürgermeisterin) seine Rolle insbesondere darin, Positives zu verkünden (vgl. NRZ Nr. 125 / 01.06.93: „Duisburger Luft ist besser als ihr Ruf“).

Entspannt hat sich die Belastungssituation insbesondere durch die Stil­legung großer Industrieanlagen (wie Kupferhütte, Krupp-Stahl). Gleichzeitig nahmen aber die PKW- und vor allem die LKW-Emissio­nen (Ausbau Duisburgs als Logistik-Standort) deutlich zu.


5. Aktuell in 2004/2005: Die neuen EU-Vorgaben zu Feinstaub drohen

Es waren aber nicht nur die Werksschließungen, welche die Schad­stoffbelastung bei lungengängigen Feinstäuben minderten. So beschei­nigte die „Bürgerinitiative gegen Dioxinverseuchung“ (BI) der Firma B.U.S. Metall GmbH, daß sie mit ihrer verbesserten Umwelttechno­logie sogar die Grenzwerte der neuen Technischen Anleitung Luft (TA Luft) von 2002 einhält (WAZ Nr. 257 / 03.11.04: „...: Betrieb gilt als entschärft.“). Der Nachbar Sudamin-MHD muß hier allerdings noch nachziehen.

Mit einem ganzen Maßnahmenpaket konnte Thyssen-Krupp den Staub­ausstoß senken (WAZ Nr. 272 / 20.11.04. Vgl. WAZ Nr. 201 / 28.09.04). Allerdings zeigen die Studien des Umweltamtes, daß immer noch viele Quadratkilometer in Duisburg unzulässig hoch mit Blei, Cadmium und Nickel belastet sind (WAZ Nr. 275 / 24.11.04).
Als Reaktion auf die neuen EU-Vorgaben für Feinstäube stellte Um­weltdezernent Dr. Peter Greulich einen Luftreinhalteplan Duisburg Nord vor (WAZ Nr. 289 / 10.12.04). Damit soll in 2005 ff. die Fein­staubbelastung verringert werden, deren Gesundheitsgefahren u. a. durch die „Hot-Spot-Untersuchungen“ des Landesumweltministeriums noch einmal verdeutlicht wurden.


Hierbei scheint weniger das Einhalten der Jahresdurchschnittswerte problematisch zu sein. „Heftiges Konfliktpotenzial hingegen ist bei der sogenannten Überschreitungshäufigkeit in Sicht. Im kommenden Jahr darf es nur noch 35 Mal zu Grenzwertüberschreitungen kommen. Aber schon im ersten Halbjahr waren diese Werte massiv verletzt worden. In Bruckhausen wurde 78, in Marxloh 102 und in Hüttenheim 96 mal die Obergrenze mit 50 Mykrogramm deutlich überschritten, in mehr als der Hälfte der Fälle sogar mit mehr als 60 Mykrogramm in erheblichem Maße.“ (G. Klinkhardt in WAZ Nr. 289 / 10.12.04). Dabei ist nicht nur an den „Hot-Spots“ der Industrie anzusetzen. Vielmehr muß die insbe­sondere aus dem Verkehr (Dieselantriebe von LKW, PKW und Schiffsmotoren) stammende sogenannte „Hintergrundbelastung“ (liegt zwischen 20 bis 30 Mykrogramm) abgesenkt werden.

Endlich wird mit dem - von der EU erzwungenen - Ausweis vor allem der kurzfristigen Überschreitungen der Grenzwerte von Feinstaub-Expositionen auch der Verkehr als Hauptverursacher zur Verantwor­tung gezogen. Da wird es nicht nur bei Leserbrief-Appellen zu „Bessere Luft bekommen“ bleiben, sondern hier werden - wie in Frankfurt/Main bereits geschehen - EU-Beschwerden auf dem Rechtswege eingereicht werden (WAZ Nr. 289 / 10.12.04; WAZ Nr. 3 / 05.01.05; WAZ Nr. 18 / 22.01.05).

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will gerichtlich die Einhaltung der EU-Luftreinhaltevorschriften erzwingen (FR Nr. 53 / 04.03.05). Diese EU-Richtlinie 96/62/EG und deren Umsetzung in deutsches Recht haben es in sich (WAZ Nr. 62/ 15.03.05). Dabei wäre „Die Last mit den [Diesel-]Lastern“ (FR Nr. 67 / 21.03.05) und mit den Diesel-PKW’s
- die Dreckschleudern der Schiffsmotoren nicht vergessen (!) - techno­logisch so leicht zu entschärfen: Umstellung auf Erdgasantrieb! Das ergibt deutlich geringere Dieselmotor-Emissionen, also weniger der krebserzeugenden Pyrolyseprodukte aus organischem Material. Das senkt gleichzeitig beträchtlich die CO2-Emissionen. Platz für den

Einbau der Gastanks im Tragrahmen der Schwerlaster sowie auf dem Dach der Busse ist genug vorhanden. Hunderte eingesetzter Fahrzeuge fahren bereits besser und abgasärmer. Ein Unterfahrschutz wie bei dem Sicher­heits-LKW „Actros“ (Daimler-Benz) sorgte für zusätzlichen Unfall­schutz.
- Warum setzt sich die Bundesregierung nicht auf EU-Ebene für diese arbeitsplatzschaffende Technologie-Erneuerung ein?! ‑






Dateien:

20050330_feinstaub_im_ruhrgebiet.pdf120 K

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