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  • Eschborner Thesen der Arbeitsforschung - Teil neuer Humanisierungsinitiativen

     

    In Z.Arb.wiss. (2014) Heft 3 gibt die Schriftleitung den Raum für einen Nachdruck der „Eschborner Thesen“, samt Kommentierung durch Jörg Hentrich:

    -                     Hentrich, J.: Zum Stand und der Weiterentwicklung der Eschborner Thesen: Impulse aus der Arbeitsforschung. In: Z.Arb.wiss. 68 (2014)3, S. 185-189.

     

    Zum Stand und der Weiterentwicklung der Eschborner Thesen:

    Impulse aus der Arbeitsforschung

     

    Forschungsprogramme wie .Humanisierung des Arbeitslebens" oder "Arbeit und Technik" haben zwischen den 1970er und 1990er Jahren erheblich dazu beigetragen, dass in Deutschland umfangreiches Wissen um eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit entstanden ist. Sie haben wichtige Impulse für einen gesellschaftlichen Konsens über die Verknüpfung von menschengerechter Arbeit, wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Wohlstand gegeben und dazu beigetragen, dass in Deutschland relativ hohe Standards im Arbeitsschutz gelten.

    Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung der letzten 25 Jahre bemerkenswert. Seit der Automatisierungstraum von der ,menschenleeren Fabrik' zu Beginn der 1990er Jahre ausgeträumt war und einige sehr kostenträchtige Investitionsruinen hinterlassen hatte, stand der ,Mensch im Mittelpunkt' der Rationalisierungsbemühungen. Das „Gold in den Köpfen der Mitarbeiter“ sollte gehoben, d.h. ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten umfassend genutzt werden. Dezentralisierung von Entscheidungen, Mitwirkung der Beschäftigten an betrieblichen Reorganisationsprozessen, Erweiterung von Handlungsräumen und Aufgabenfeldern sowie eine teilweise weitreichende Selbstorganisation sollten die Mitarbeiter in die Verantwortung für das ökonomische Ergebnis ihrer Arbeit einbinden.'

    Eine zusätzliche Dynamik erhielt die Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen in den Folgejahren durch die Deregulierung, Privatisierung und Ökonomisierung öffentlicher Dienstleistungen bspw. in der Telekommunikation und im Gesundheitswesen sowie durch die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik und durch die Liberalisierung der Zeitarbeit.

    Mit der gesetzlichen Änderung des Renteneintrittsalters - Rente mit 67 - wurde zudem der demografische Wandel für viele Unternehmen zu einem unmittelbar spürbaren Phänomen. Zum einen hatten sich die Leistungserwartungen an die Beschäftigten - Selbstorganisation, Verantwortung und Flexibilisierung unter zunehmendem Zeitdruck - stark verändert, zum anderen wurde erkennbar, dass diese Anforderungen von zunehmend älter und heterogener werdenden Belegschaften auf Dauer nicht erfüllt werden können. Der Bedeutungszuwachs von psychischen Belastungen, ein Ansteigen von psychischen Störungen bei den Beschäftigten, Demotivation oder Einschränkungen der Leistungsfähigkeit kennzeichnen diese Entwicklungen. Mittel- und langfristig ist damit auch die Leistungs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen gefährdet. Die Arbeitsforschung und Arbeitswissenschaft konnten diese Prozesse nur rudimentär begleiten. Eine prospektive Erforschung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Perspektiven von Anforderungsmustern und deren gesundheitlichen und sozialen Folgewirkungen musste weitgehend unterbleiben. Denn - so paradox dies aus heutiger Sicht erscheinen mag - in dem Maße, in dem Arbeit und die Arbeitenden unmittelbar und in neuer Weise zum Gegenstand betrieblicher Rationalisierung und politischer Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit wurden, wurden für die Arbeitsforschung und Arbeitswissenschaft weniger Forschungsmittel zur Verfügung gestellt, was zur Ausdünnung der Forschungsinfrastruktur und zur Schließung renommierter Forschungsinstitute sowie zur Aufgabe zahlreicher arbeits- und sozialwissenschaftlicher Lehrstühle führte.

    Mit dieser Situation hat sich ein bundesweiter Kreis von Arbeitsforscherinnen und -forschern aus renommierten wissenschaftlichen Instituten und Universitäten bei mehreren Treffen im RKW Kompetenzzentrum in Eschborn intensiv befasst. Das Ergebnis dieses Diskurses, der in mehreren Treffen zwischen dem Frühjahr 2012 und dem Sommer 2013 stattfand und regelmäßig auch mit dem Präsidenten der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft abgestimmt wurde, sind die Eschborner Thesen zur Arbeitsforschung. Sie benennen beispielhaft den Forschungsbedarf und schlagen ein auf soziale und technische Innovationen ausgerichtetes konzertiertes Forschungs- und Aktionsprogramm "Arbeit der Zukunft" vor. Die Eschborner Thesen werden mittlerweile von mehr als 190 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, darunter die wichtigsten Exponenten der deutschen bzw. deutschsprachigen Arbeitsforschung und Arbeitswissenschaft, aber auch von Praktikern und Praktikerinnen aus Unternehmen, Gewerkschaften und Beratungseinrichtungen namentlich unterstützt.

    Die Entstehungsgeschichte und die Wirkung der Eschborner Thesen sind in mancher Hinsicht bemerkenswert.

    Fast 40 Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen waren an der Erarbeitung der Thesen beteiligt. Aus anfänglich detaillierten, umfassenden Arbeitspapieren und Studien wurden im Rahmen des Diskurses Thesen und Vorschläge herausdestilliert, die einen breiten Konsens unter den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darstellen. Im Hinblick auf die Beschreibung der Situation der Arbeits- und Lebensbedingungen, der Gestaltungsfelder, des Forschungsbedarfs sowie der Ausgestaltung eines konzertierten Forschungs- und Aktionsprogramms ist es mit den Thesen offensichtlich gelungen, eine belastbare, interdisziplinär akzeptierte Plattform zu formulieren.

    Dies dürfte auch die - natürlich in wichtige andere diskursive Prozesse eingebettete - Wirkungsgeschichte der Thesen erklären. Nach ihrer ersten Veröffentlichung im August 2013 wurden die Eschborner Thesen in breiten arbeits- und forschungspolitischen Kreisen rezipiert und diskutiert. In dem am 27. November 2013 veröffentlichten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, der die Grundlage für die Zusammenarbeit in der neuen Bundesregierung bildet, wurde die Forderung nach einem Forschungsprogramm zur Humanisierung der Arbeitswelt aufgegriffen.

    Im März 2014 führten das RKW Kompetenzzentrum und die Friedrich - Ebert –Stiftung gemeinsam eine Tagung mit dem Titel "Menschengerechte Arbeit - arbeits-, wirtschafts- und forschungspolitische Perspektiven" in Berlin durch. Auf dem Podium diskutierten u.a. Prof. Dr. Ralph Bruder (Präsident der GfA), Norbert Breutmann (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA), Reiner Hoffmann (DGB-Bundesvorstand), Prof. Dr. Sascha Stowasser (Direktor des ifaa) und Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Deutschen Bundestags). Im Mittelpunkt stand die Frage, wie die Arbeit der Zukunft menschengerecht gestaltet werden kann. Die Teilnehmer waren sich einig, dass ein erheblicher Forschungs- und Gestaltungsbedarf zur Humanisierung der Arbeit besteht und dass hierzu ein interministerielles, von den Sozialpartnern und den Bundesländern mitgetragenes Forschungs- und Aktionsprogramm sinnvoll ist.

    Auch innerhalb der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften wurden die wesentlichen Aussagen und Vorschläge der Eschborner Thesen mit viel Zustimmung diskutiert. Im April 2014 hatte das RKW Kompetenzzentrum die Gelegenheit, die Thesen im BDA-Arbeitskreis "Arbeitsgestaltung und -forschung" vorzustellen und die Bedeutung der Arbeitsforschung für die Arbeit des RKW darzulegen. Auch die Arbeitgeberverbände sehen den Bedarf für ein solches Forschungs- und Aktionsprogramm, wobei sie die Sicherung der Produktivität als besonders bedeutsames Aufgabenfeld hervorheben. In seiner Grundsatzrede auf dem DGB-Kongress im Mai diesen Jahres hat der neue Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, die Bundesregierung aufgefordert, ein Forschungs- und Aktionsprogramm aufzulegen, das an das HdA-Programm der 1980er Jahre anknüpft.

    Auf der BMBF- Tagung "Dienstleistung in der digitalen Gesellschaft" Ende Mai 2014 konnte der ver.di- Vorsitzende Frank Bsirske mit Bezug auf die Eschborner Thesen bereits zustimmend und ermunternd die ersten Maßnahmen zur Entwicklung des neuen Programms zur Forschung für die Arbeit von morgen kommentieren.

     

    Da vielen unserer Leserinnen und Leser die Eschborner Thesen nicht bekannt sind, drucken wir sie im Folgenden noch einmal ab

     

    Eschborner Thesen zur Arbeitsforschung

     

    Welche Bedeutung hat die Arbeitsforschung für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft? Es gibt starke Anzeichen dafür, dass ihre Bedeutung in der Wahrnehmung der Politik in den letzten Jahren geringer geworden ist. Die Forschungsförderung konzentriert sich zunehmend auf Technologieforschung, deren Verwertungsmöglichkeiten höher eingeschätzt werden. Brauchen wir also nur noch eine rudimentäre Arbeitsforschung, die sich in ihrer Agenda an tagespolitischen Themen orientiert und an die großen technologischen Trends anlehnt? Oder ist gerade jetzt eine eigenständige Agenda der Arbeitsforschung erforderlich? Wie müsste sie aussehen und - vor allem - wie ist ihre Notwendigkeit zu vermitteln?

    Mit diesen Fragen hat sich ein Kreis von Arbeitsforscherinnen und -forschern aus renommierten wissenschaftlichen Instituten und Universitäten aus allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland bei mehreren Treffen im RKW Kompetenzzentrum in Eschborn intensiv befasst.

    Aus anfänglich detaillierten, umfassenden Arbeitspapieren und Studien wurden im Rahmen des Diskurses die sogenannten Eschborner Thesen heraus destilliert, die einen breiten Konsens unter den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darstellen. Sie werden hiermit der wissenschaftlichen und arbeits- und wirtschaftspolitischen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt.

    Jörg Hentrich

    RKW Kompetenzzentrum, Eschborn