Arbeitsforschung ist wieder da

Ähnlich wie J. Hentrich argumentiert Gerhard Ernst:

-         Ernst, G.: Arbeitsforschung ist wieder da. In: Z.Arb.wiss. 68 (2014)3, S. 189-190.

 

Als ich voller Elan 1975 mit der Arbeitsforschung begann, warnte mich mein Institutsleiter, dies sei ein Aufschwung der Forschung bedingt durch die Verknappung der Arbeitskräfte und der Probleme, die die Fliessarbeit zu dieser Zeit zeigte. Ich glaubte natürlich trotzdem noch an einen dauerhaften Aufschwung der Arbeitsforschung. Bestärkt wurde ich damals auch durch die Reformulierung des Programms "Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens" durch die Minister Riesenhuber und Blüm 1987: "Wer immer nur an Technik denkt, wenn von Innovationen die Rede ist, braucht sich über Misserfolge nicht zu wundern" (BMFT, BMAS, 1987, S. 29). Mit über 103 Mio DM standen in einer CDU/CSU/FDP-Regierung Mittel wie zu Hochzeiten des Programms zur Verfügung.

Die Aktivitäten des Abgeordneten Austermann betrachtete ich als individuelle Strategien. Ich wurde eines Besseren belehrt; denn Arbeit verlor in den 90er Jahren ihren Stellenwert. Auch wenn Papst Johannes Paul II in seiner Enzyklika .Laborem Exercens" verkündet hatte: ,,So wahr es auch ist, daß der Mensch zur Arbeit bestimmt und berufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit.“. Alles änderte sich. Menschliche Arbeit war ein Kostenfaktor geworden. Der "Mensch stand im Mittelpunkt", das bedeutete, er war überall im Weg und musste durch Technik ersetzt werden.

Unter dem Eindruck des expandieren- den Internets trat eine neue Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an, deren Handeln den "alten HdA-Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen" ein Graus waren. Neue Technologie ersetzte alles und machte al- les automatisch besser. Wer nicht an "das Netz" glaubte, war unglaubwürdig. "Das Netz" macht alte Beteiligungsstrukturen überfssig, "das Netz" ermöglicht, Kinder zu betreuen und gleichzeitig zu arbeiten (was vielen Müttern und Vätern bis heute ein Rätsel ist). Die Versuche, Arbeit und Innovationsfähigkeit zu verbinden, scheiterten 2010, als das BMBF verkündete, Produktions- Arbeits- und Dienstleistungsforschung zusammenzufassen. Auch wenn im Zuge der Entwicklung des Programms Industrie 4.0 die Zukunft der Arbeit einen wichtigen Stellenwert hatte, bedeutete das kein eigenständiges Forschungsprogramm für die Zukunft der Arbeit, sondern eine dienende Funktion, um die Wirtschaftlichkeit zu stärken.

Allerdings waren im Zuge der Finanzkrise schon erste Stimmen erschienen, die - noch wissenschaftlich orientiert - eine "Weiterentwicklung einer interdisziplinär organisierten Arbeitswissenschaft als wesentliches Element einer Arbeitsforschung" und eine "breite Humanisierungsoffensive" (Schweres, 2009, S.89) forderten.

Aus arbeitspolitischer Sicht, nicht aus Sicht der Forschung setzten eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen neuen Akzent, indem sie "Arbeit und menschliche Würde" wieder verknüpften (Negt, 2011). Ebenso versuchten die Gewerkschaften, die Arbeitsforschung zu stärken. Die von der Gewerkschaft Ver.di vertretene Dienstleistungspolitik wendet sich ab 2013 verstärkt dem Thema "Arbeitsforschung" zu, und fordert ein eigenständiges Arbeitsforschungsprogramm.

In der Diskussion mit Ver.di begannen sich auch Parlamentarier der SPD aus den Bereichen Forschung und Arbeit des Themas anzunehmen. Den öffentlichen Niederschlag fand dies nicht nur in Forderungen nach einer Erhöhung des Haushaltes für das Arbeitsforschungsprogramms, sondern auch in strategischen Veröffentlichungen. Der neugewählte Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD, Klaus Barthel, forderte "nichts Geringeres als ein neues, umfassendes, vernetztes Forschungs- und Aktionsprogramm für Humane Arbeit." (2013, S. 1). Die Aktivitäten der Gewerkschaften und der Politik fanden ihren Niederschlag Ende des Jahres 2013 im Koalitionsvertrag.

Auch die Arbeitswissenschaft setzte mit einem weiteren Schwerpunktheft 2013 die Debatte um eine "neue, nachhaltigere, innovations- und produktivitätsförderliche Humanisierungsoffensive" (Schweres, 2013) fort. Interessant war die Neudefinition des Leitbildes (Ulich, Zink und Kubek, 2013), in dem explizit Humanität als eigenständiges Ziel mit positiven wirtschaftlichen Ergebnissen verbunden und das Leitbild, in dem humane Arbeitsbedingungen nur die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stzen soll, zurückgewiesen wird. Parallel zu diesen Diskussionen verlief die Formulierung der .Eschborner Thesen". Im Rahmen eines Projektes des Programms "Arbeiten, Lernen, Kompetenzen entwickeln Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt" formulierten Arbeitsforscher und -forscherinnen ihre Anforderungen an ein neues Forschungs- und Aktionsprogramm.

Die große Bedeutung der Eschborner Thesen lag nicht allein in ihrer inhaltlichen Gestaltung, sondern in der higkeit, die Arbeitsforschung und Arbeitswissenschaft hinter sich zu einen. Mit ihnen lag zum ersten Mal seit dem Memorandum der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft "Die Zukunft der Arbeit erforschen" (Zink, 2000) eine von einer breiten Gruppe getragene Denkschrift zum Thema Arbeit vor. Es ist das Verdienst des RKW und der Friedrich - Ebert -Stiftung, die drei Linien Wissenschaft, Politik und Sozialpartner in einer gemeinsamen Konferenz im März 2014 zusammengeführt zu haben (Friedrich-Ebert-Stiftung, 2014). In großer Einigkeit plädierten Sozialpartner und Parlamentarier der Großen Koalition für ein neues Forschungs- und Aktionsprogramm zur Neugestaltung der Arbeit.

Die Entwicklung fand ihren vorläufigen Abschluss auf der BMBF - Tagung "Dienstleistungen in einer digitalen Welt" im Mai 2014, in der das BMBF ein neues Arbeitsforschungsprogramm zusagte, das in Kooperation mit den Sozialpartnern erstellt werden soll.

Es ist nicht klar, was die Zukunft bringen wird, aber klar ist, dass die Anstrengungen von Wissenschaft und Wirtschaft, von Sozialpartnern und vielen anderen eine Basis gelegt haben, Arbeitswissenschaft und Arbeitsforschung voranzutreiben. Arbeitsforschung ist wieder da. Tun wir alles, um sie am Leben zu halten.

Literatur

Barthel, Klaus: Humanisierung der Arbeit braucht Forschung, WISO direkt Mai 2013, Friedrich-Ebert Stiftung, Bonn (2013)

BMBF, ; BMA, : Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens - Dokumentation 1987, Eigenverlag, Bonn (1987)

Bsirske, Frank: Dienstleistungspolitik für Gute Arbeit und Gute Dienstleistungen, Rede auf der Tagung Dienstleistungsforschung - Dienstleistungspolitik der Hans-Böckler-Stiftung und ver. di am 24. April 2013; http://www.boeckler.de/pd-
f/v _20 13_04_24_25_bsirske.pdf (2013)

Friedrich- Ebert-Stiftung: http://www.fes.de/wiso/content/veras/v_arbeit_betrieb_politik. php#2013 (2014)

Negt, Oskar: Arbeit und menschliche Würde, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung DAS PARLAMENT, Nr. 15, S. 3-5 (2011)

Schweres, Manfred: Editorial: Für eine neue Humanisierungsoffensive, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, Bd. 63, S. 89 (2009)

Schweres, Manfred: Editorial: Für eine neue, nachhaltigere, innovations- und produktivitätsrderliche Humanisierungsoffensive, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 67. Jahrgang, S.1-3 (2013)

Ulich, Eberhard; Zink, Klaus J., Kubek, Vanessa: Das Menschenbild in Arbeitswissenschaft und Betriebswirtschaftslehre, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 67. Jahrgang, S. 15-22 (2013)

Zink, Klaus J.: Die Zukunft der Arbeit erforschen. Ein Memorandum der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. zum Strukturwandel der Arbeit., Dortmund (2000)

 

 

Bei Niederschrift dieser beiden Arbeitsforschungs-Beiträge war noch nicht sichtbar, ob die verschiedenen Initiativen auch Wirkung in Richtung staatlicher Forschungsförderung zeigen. Sie haben gewirkt, wie nachstehend zitierte Bekanntmachung zeigt (!):

 

-         BMFT (Hrsg.): Bekanntmachung: Richtlinien zur Förderung von Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet „Präventive Maßnahmen für die sichere und gesunde Arbeit von morgen.“ Vom 16. Juni 2014. In: Bundesanzeiger 01. Juli 2014, BAnz AT 01.07.2014 B 3. –

 

Soweit zum Stand der aktuellen Arbeitsforschung und ihrer Arbeitswissenschaft im Herbst 2014. ‑ ‑